Neues aus der Kirche mit Kindern

Die Inklusive Mitmach-Bibel

Thematischer Schwerpunkt

In zwei Bändern präsentiert das großformatige Werk 37 biblische Geschichten. In Band 1 finden sich die Erzähltexte und dazu jeweils Gebärdenfotos und zwei QR-Codes, die zu einer Hörfassung und zu einem Gebärdenvideo führen. In Band 2 werden die Erzählungen durch szenische Fotos mit von Bernd Hillringhaus' künstlerisch gestalteten Figuren auf ganz eigene Weise lebendig.

 

Christiane Neukirch, Reinhard Krüger, Bernd Hillringhaus

Die Inklusive KinderMitmachBibel,

herausgegeben von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, dem Zentrum für Seelsorge und Beratung und dem Michaeliskloster Hildesheim. 2 Bände, Hannover 2023, 380 Seiten, 39,90 Euro; hier bestellbar.

 

Inhalt

Zwei großformatige Bände von 25x30 cm liegen vor mir, zusammen 4cm dick, die ihren Platz im Bücherregal erst mal finden müssen. Und der Titel „Die Inklusive Kinder Mitmach Bibel“ (IKMB) weckt im Rezensenten einige Erwartungen. Eine Bibel für Kinder zum Mitmachen – das klingt für jemand, der in der Kirche mit Kindern aktiv ist, wirklich vielversprechend. Ich erwarte mir kreative Ideen verschiedenster Art – Basteln, Spiele und Anregungen für andere Aktivitäten - und dazu passend pädagogische Erschließungshilfen für definierte Altersgruppen und den Einsatz in verschiedenen Feldern der kirchlichen Arbeit mit Kindern.

Der Untertitel zu Band 1 grenzt dann aber schon ein: „Geschichten zum Lesen, Hören und Mitgebärden“. Richtig, deshalb ist der Rezensent als früherer Gehörlosenseelsorger und jetziger Dekanatsbeauftragter für den Kindergottesdienst ja zur Rezension angefragt worden. Das im Titel prominent genannte Mitmachen bezieht sich also vorwiegend auf das Mit-Gebärden? Mal sehen…

Band 2 trägt den Untertitel „Die Geschichte mit Bildern erzählt“. Das lässt mich auf große und aussagekräftige Bilder hoffen, wenn auch die Einzahl „Geschichte“ irritiert. Der Buchdeckel zeigt jedenfalls schon: Bei den Bildern handelt es sich um Fotos und zwar ganz eigener Art mit künstlerischem Anspruch. Und dann ist da ja noch das Eigenschaftswort „inklusiv“ im vielversprechenden Titel des Gesamtwerks. Ich bin gespannt!

Also der Reihe nach. Zuerst schlage ich Band 1 auf und beginne, mir einen Überblick zu verschaffen. Wie in jeder Kinderbibel handelt es sich bei den Geschichten in Band 1 um eine kleine Auswahl aus der gesamten Bibel; im vorliegenden Werk sind es 21 Geschichten aus dem Ersten (Alten) Testament und 16 aus dem Neuen Testament. Diese sind in meist einfacher Sprache teils eng am Bibeltext nacherzählt, teils jedoch frei und fantasievoll ergänzt. So schnitzt z.B. Josef seiner Braut Maria einen Holzengel, bevor der Erzengel sie besucht (Band 1, S.87) und füttert auf dem Weg nach Bethlehem den Esel mit einer Möhre (Band 1, S.91). Das soll die Erzählungen – denn vermutlich stammen viele der enthaltenen Texte aus einer konkreten heutigen Erzählsituation - für Kinder wohl anschaulicher machen, wenn auch manch wissbegierige Kinder fragen könnten, ob im Lande Jesu Möhren wachsen. Am Ende der Geschichten werden manchmal, aber nicht immer, Anregungen zum Gespräch angehängt, die über den Bibeltext hinausgehen, aber im Schriftbild nicht davon abgesetzt werden. Dabei sind die Impulse mancher all dieser freien Ergänzungen oft überraschend stimmig, wenn sie eben die biblische Aussagerichtung unterstreichen und zuspitzen.

Leider werden aber der Bibel an manchen Stellen inhaltliche Aussagen untergeschoben, die so nicht im Text zu finden sind, dadurch jedoch gleichsam zu „biblische Autorität“ geadelt werden. Schon die erste Geschichte „Im Paradies“ legt zum Abschluss Adam folgende drei Sätze an Eva in den Mund: „Ich nenne dich einfach Eva. Denn ich entscheide jetzt. Das findest du doch auch gut, oder?“ (Band 1, S.18) Der Gesprächsimpuls ist unverkennbar, verfälscht aber die biblische Aussage massiv: „Und Adam nannte seine Frau Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben.“ (Gen.3,20 - Luther 2017). Aus einer Würdigung als Mutter aller Menschen durch den Namen „Eva“ wird eine Erniedrigung, indem Adam als Namensgeber eine „Unterdrückungsabsicht“ gegenüber Eva angedichtet wird, die Eva abwertet und dafür dreist auch noch ihre Zustimmung voraussetzt. Solche Abweichungen überschreiten den Spielraum einer ernsthaften Bibelexegese, die stets auch Kindern gegenüber betrieben werden muss.

Die Verwischung zwischen Bibeltext und deutender oder pädagogischer Ergänzung wird im Text „Behütet losgehen“ (Bd.1: S.77f) und in den Fotos dazu (Bd.2: S198ff) auf die Spitze getrieben, wenn Psalm 121 in eine frei erfundene umfangreiche Rahmengeschichte von einer Mia und ihrer Großmutter auf dem Weg durch den Wald verpackt wird, und zwar ohne das kenntlich zu machen. Es ist zu befürchten, dass all die teils interpretierenden, teils fantasievoll ergänzenden Textpassagen von weniger bibelkundigen Nutzern nicht zu erkennen sind und dann manches davon als „biblische Aussage“ übernommen wird.

Daher fände der Rezensent z.B. den Titel „Erzähltexte zu biblischen Geschichten in Wort und Bild“ angemessener als „Kinder Bibel“. Denn sehenswert sind beide Bände allzumal. Bilder in Band 1 sind – außer einigen Fotos von Werken aus Kinderhand zu Bibelgeschichten, die aus KiTas stammen – vor allem die zahlreichen Fotos, auf denen zwei Personen abwechselnd Gebärden der Deutschen Gebärdensprache demonstrieren.

Knapp dreihundert Gebärden der Deutschen Gebärdensprache (DGS) werden im Verlauf der Texte sukzessive vorgestellt. Das geschieht mit Fotos (2-7 auf jeder Textseite) zu beiden Seiten des gedruckten Textes. Alle Fotos können mit Hilfe eines alphabetischen Verzeichnisses der Gebärden-Begriffe (im Anhang von Band 1) auch leicht gefunden werden. Das ist praktisch, aber bei der Anzahl und Verteilung quer durch den Textband auch nötig. Leider bricht der männliche Gebärdendarsteller eine Grundregel des verständlichen Gebärdens und trägt auf fast allen Fotos bunt gemusterte Hemden, was die Erkennbarkeit seiner Fingerhaltungen stark erschwert. Die weibliche Darstellerin macht es mit einfarbigen Oberteilen den Betrachtern leichter.

Zusätzlich können die Gebärden über QR-Codes einzeln auf youtube angesehen werden. Damit und in Verbindung mit einem Zeichensystem, durch welches die Bewegungen zu den stehenden Fotos grafisch dargestellt werden, ermöglicht Band 1 nicht-gebärdensprachlichen Menschen, dass sie jeweils zu einer Reihe von Wörtern aus dem Text die Gebärden lernen und dann auch für andere darstellen können. Das alles bietet für hörende Menschen fast jeden Alters eine reizvolle Anregung zur Vertiefung. Denn der Text kann dadurch ansatzweise auch körperlich mitvollzogen und insgesamt intensiver erlebt werden. Gebärdensprachlich orientierte Menschen haben davon aber kaum was, denn sie kennen die Gebärden und bräuchten als Alternative eine durchgehend visuelle Darstellung.

Das könnte Band 2 ausgleichen. Denn ergänzend zu den Geschichten aus Band 1 werden in Band 2 Fotos gezeigt, eins auf jeder Seite und zu den einzelnen Geschichten auf ein bis 14 Seiten. Es gibt viel zu sehen für Augen, die gerne Details erkunden und für eine ungewöhnliche, minimalistische und etwas spröde Ästhetik offen sind. Der Stil ist durchgängig künstlerisch und identisch: Es sind szenische Fotos, auf denen ungewöhnliche, sehr „hochgewachsene“ und gesichtslose Papierfiguren in Kulissen aus verschiedenartigen Materialien platziert sind und allein durch ihre Körperformung einen emotionalen Ausdruck zeigen. Die Fotos sind mit ihren in warmen erdigen Farbtönen gehaltenen Szenerien vor meist blauem Himmelshintergrund großenteils ein Augenschmaus und bieten viel zu entdecken, auch zu rätseln.

Zum gemeinsamen Betrachten sind sie allerdings auch für kleinere Gruppen nur bedingt geeignet, denn die ähnlichen Farbtöne und die gleichförmigen Figuren sowie die vielen Details sind nur aus der Nähe wahrnehmbar. Zum Vergleich: Die guten alten Kees de Koort-Bibel-Bildergeschichten lassen sich trotz kleinerem Format auch Gruppen zeigen, weil die Darstellung detailarm und übersichtlich ist und die Aussage der plakativ gemalten Figuren eindeutig zu erkennen ist.

Auf vielen Fotos der „Kinder Mitmach Bibel“ sind zudem entweder Vorder- oder Hintergrund unscharf gehalten, so dass der Blick auf die scharf fokussierten Bereiche gelenkt wird. Das fordert aufmerksames Betrachten heraus, wirkt aber nicht immer stimmig. Knappe Textzeilen unter den Fotos stellen den Bezug zu den ausführlicheren Texten in Band 1 her und erfordern zum Verständnis auch meist diese oder andere erzählerische Ergänzungen.

Fazit: Als Bilder-Bibel für Kinder ist Band 2 der „Kinder Mitmach Bibel“ am ehesten für eine „Sofa-Vorlese-Situation“ mit zwei bis vier Kindern geeignet und kaum für die kirchliche Gruppensituation.

Was nun soll diese zwei aufwändig gestalteten Bände „inklusiv“ machen, wie es seit Jahren ja für alle Lebensbereiche gefordert wird, aber bisher nur wenig verwirklicht ist? Im Vorwort wird formuliert, dass es mit Band 1 um einen Brückenschlag geht zwischen nicht-gebärdensprachlichen und gebärdensprachlich orientierten Menschen, und zwar mit Hilfe von Gebärden der Deutschen Gebärdensprache (DGS). Nicht-gebärdensprachliche (also hörende) Kinder und Erwachsene sollen mit Hilfe der IKBM Gebärden lernen, denn „dadurch können hörende und hörgeschädigte Menschen Zugang zueinander finden und in Teilhabe und Teilgabe Inklusion erleben.“ Im gottesdienstlichen Rahmen sollen sich dann hörgeschädigte Kinder mit hörenden Kindern „in einer gottesdienstlichen Gemeinschaft auf Augenhöhe erleben“ können.

Ein hohes Ziel und leider auch durch die aufwändige „Inklusive Kinder Mitmach Bibel“ nicht erreichbar. In der Geschichte zu „David und Goliat“ z.B. (Band 1, S.62f) werden acht Wörter als Gebärden gezeigt: „David, kämpfen, laut, Goliat, Steinschleuder, ruhig, umfallen, jubeln“. Für Hörende kann es, wie bereits gesagt, tatsächlich eine sehr anregende Erweiterung einer gehörten Texterfahrung sein, wenn zu einzelnen Wörtern „echte“ DGS-Gebärden vollzogen werden können. Da die Gebärden ja üblicherweise mit stimmlosen Mundbewegung ergänzt werden, wird die innerliche Wahrnehmung dieser Wörter „in der Stille“ erweitert und fast spirituell vertieft. Der Gewinn des Konzeptes von Band 1 liegt dadurch ganz überwiegend auf Seiten der hörenden Nutzer. Denn mal umgekehrt gedacht: Was hätten Hörende davon, wenn sie in einer gebärdensprachlich vorgetragenen (also sichtbar, aber lautlos und mit vielen unverständlichen Gebärden und Gesichtsbewegungen dargebotenen) Geschichte lediglich mal ab und zu ein gesprochenes Wort zu hören bekämen? Es kann durch Bücher eben gar nicht erreichbar sein, zwei so unterschiedliche Sprach- und Wahrnehmungskulturen wie einerseits lautsprachlich und andererseits gebärdensprachlich orientierte Menschen „auf Augenhöhe“ in Verbindung zu bringen. Dazu erfordert es vielmehr kundige Menschen, die in beiden Kulturen als „Dolmetscher“ wirken und die bei direkten Begegnungen vermitteln können.

So bleibt beim Rezensenten der Eindruck, dass das Attribut „inklusiv“ im Titel der „Inklusiven Kinder Mitmach Bibel“ deutlich zu hoch greift und lediglich eine zeitgeistige gute Absicht benennt – wie manch anderes der Inklusions-Welle der vergangenen Jahre.

Die „Inklusive Kinder Mitmach Bibel“ kann allen einigermaßen Bibelkundigen empfohlen werden, die erzählerisch interpretierte Bibeltexte, dazu zahlreiche DGS-Gebärden und Bildstrecken mit künstlerischen Standfotos zur Inspiration für die eigene bibelbezogene Arbeit (gerne mit Kindern, aber warum nicht auch Erwachsenen?) nutzen wollen oder die mit einer kleinen Zahl von Kindern in den Fotos von Band 2 nachforschen wollen, was da genau dargestellt ist. Manche NutzerInnen könnten auch zum Selberbauen ähnlicher Szenerien angeregt werden. Die in der Einführung „Liebe Große und Kleine“ (Band 1, S.7) versprochene Anleitung zum Bauen von ähnlichen Papierfiguren versteckt sich übrigens als PDF-Datei hinter einem QR-Code in Band 2 auf Seite 6.

Als Autor*innen stehen hinter dem Projekt Pastorin Christiane Neukirch, ehemals gebärdensprachliche Seelsorgerin der Landeskirche Hannovers, Reinhard Krüger, Fachberater bei KITS – Kitas des Stadtkirchenverbandes und Bernd Hillringhaus, Referent für Kindergottesdienst im Michaeliskloster Hildesheim.

 

 

Rezension: Stefan Wurth

Diplom Religionspädagoge im Dekanat Bad Neustadt, Erfahrung als Gehörlosenseelsorger

Eine Rezension von Stefan Wurth
Erstellt von Stefan Wurth ||  Aktuelles  Rezension